Freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind. Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.
Lukas erzählt, wie Jesus einmal 72 Jünger aussendet, um das Evangelium Gottes in die umliegenden Städte und Orte zu tragen. Doch als sie zurückkommen und Jesus voll Freude berichten, was sie getan haben und was sie plötzlich alles in seinem Namen zu tun vermochten, passiert – finde ich - etwas Merkwürdiges: Jesus lobt sie nicht für das, was sie Großartiges geleistet haben. Seine Antwort lautet schlicht: Freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind! Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.
Irgendwie ernüchternd. Die Jünger sollen sich nicht über ihren Erfolg freuen. Aber ist es auf der anderen Seite nicht auch gnädig, was Jesus zu ihnen sagt? Die Jünger sollen sich nicht vom Erfolg abhängig machen. Auch wenn sie diesmal den Erfolg ihres Tuns gleich erleben - wie oft sieht man die Früchte seiner Arbeit nicht, oder zumindest nicht sofort. Ich vermute mal, das kennen sie auch.
Ich sehe hier einen Unterschied zwischen unseren Zielen, die wir - besten Wissens und Gewissens – umzusetzen suchen, und auf der anderen Seite Gottes Plan, seine Ziele für unser Tun.
Ich möchte versuchen, diese Unterscheidung mit einem Bild zu verdeutlichen: der Umzug meines Nachbarn und Kollegen Henning Mahnken von Firrel nach Osterholz-Scharmbeck.
Stellen Sie sich vor: die Männer seines Umzug Unternehmens haben den Auftrag, die gepackten Kisten aus dem Haus zu tragen – eine nach der anderen hinein, in den Umzugswagen. Was in den Kisten ist, wissen sie nicht – brauchten sie auch gar nicht zu wissen. Aber auch wenn sie nicht wissen, was in den Kisten ist, ja vielleicht nicht einmal wissen, warum sie diesem jungen Mann die Kisten umhertragen, arbeiten sie doch daran mit, dass Henning Mahnken seinen Dienst in der neuen Gemeinde antreten kann, als Prediger, als Seelsorger, als Lehrer wirken kann.
Manchmal erlebe ich das in meinem Alltag ähnlich: da ist manche Aufgabe, die zu stemmen ist, mancher Dienst, der einen fordert - und nicht immer erfährt man, was man damit letztlich erreicht, ob man überhaupt etwas erreicht: durch die vielen Gottesdienste, die man hält, um Menschen tragende und mutmachende Gedanken mit auf den Weg in eine neue Woche zu geben. Die seelsorgerliche Begleitung eines Menschen durch seinen Kummer hindurch. Oder, dass man eine schwierige Konfi-Klasse zur Konfirmation führt, weil man vertraut, dass man ihnen damit etwas Gutes tut. Alles Ziele, die wir verfolgen, die wir sehen – aber letztlich erfahren wir längst nicht immer, was - und ob - wir etwas damit bewirken. Und hinter all dem steht dennoch Gottes Plan für unser Tun und Leben…
Ich habe ihnen eine alte Legende mitgebracht, die ihnen meine Gedanken noch einmal anders vor Augen füht. Diese Legende handelt von einem großen und starken Mann – ja, fast einem Riesen. Vor langer Zeit lebte er in einem Land jenseits des Meeres. Obwohl er so groß und stark war, wollte er nur einem Herrn dienen, der größer und stärker war als er selbst. So machte er sich auf den Weg, den mächtigsten Mann der Welt zu suchen.
Nach drei Tagen kam er in eine große Stadt. Er fragte die Leute, denen er begegnete: „Wer ist der Herr über diese Stadt?“ – „Die Stadt gehört dem mächtigen König“, antworteten ihm die Leute. „Wenn er der mächtigste ist, so will ich ihm dienen“, sagte er bei sich. Und so blieb er und arbeitete für den König.
Eines Abends kam ein weitgereister Spielmann und sang vor dem König. In einem Lied sang er vom Teufel. Der König bekam Angst, duckte sich und machte das Kreuzeszeichen. Der Starke dachte sich: „Wenn der mächtige König sich vor dem Teufel duckt und ihn fürchtet, dann muss der Teufel wohl größer und stärker sein als er. Ich will gehen und den Teufel suchen und ihn fragen, ob ich ihm dienen darf.“ So wanderte er wieder viele Monate, bis er an den Rand der Wildnis kam.
Da kam ihm eine seltsame Gestalt entgegen, finster und furchterregend. „Wo willst Du hin?“, fragte die Gestalt. „Ich suche den Teufel“, antwortete er. „Er soll mächtiger sein, als alle Könige auf der Welt. Wenn ich ihn gefunden habe, will ich ihm dienen.“ „So komm mit mir, ich bin der Teufel!“, erwiderte die Gestalt. So gingen sie miteinander. Sie kamen an eine Gebirgskette. Auf einem Hügel stand oben ein Kreuz. Der Teufel erschrak. Er bedeckte sein Gesicht. „Hier können wir nicht vorbei“, murmelte er, „komm, wir müssen umkehren!“ „Warum hast du so eine große Angst?“, wollte er wissen. „Das Kreuz ist ein Zeichen von Jesus Christus“, sagte der Teufel und zitterte. Da sprach sein Gegenüber: „Wenn Jesus Christus stärker ist als du, dann gehe ich. Ich will Jesus Christus suchen und ihm dienen.“ So wanderte er Monat für Monat durch die Wüste, bis er an die Hütte eines Einsiedlers kam. „Was weißt du über Jesus Christus?“, fragte er den Mann. „Er ist der Sohn Gottes“, wurde ihm geantwortet, „er ist wahrhaftig der König der Welt!“ „Ja, den suche ich, den König der Welt!“, sagte er. „Sag mir doch, wo ich ihn finde.“
Der Einsiedler sprach: „Am Ende der Wüste ist ein großer, reißender Fluss. Manche sind schon ertrunken, als sie versuchten, ihn zu überqueren. Dort wird ein Fährmann gebraucht. Mache dich auf und gehe dorthin. Du bist groß und stark wie ein Riese. Bring die Menschen, die ans andere Ufer wollen, über den Fluss. Ich bin mir sicher, dort wirst du Jesus Christus begegnen.“
Da ging er zum Fluss und baute sich eine Hütte. Viele Leute trug er über den Fluss auf seinen starken Schultern. Er lebte dort und die Menschen vertrauten ihm.
Eines Nachts, er lag im Bett und schlief, hörte er eine Kinderstimme: „Komm, Fährmann, trage mich hinüber!“ Er stand auf, schaute hinaus und sah das Kind stehen, das ihn rief. „Fährmann“, sagte das Kind, „bringe mich über den Fluss!“ Ein bisschen wunderte sich der starke Mann, dann nahm er das Kind auf die Schultern und ging in den Fluss. Die Strömung im Fluss nahm zu. Das Wasser stieg. Ein Sturm kam auf. Der Fluss wurde immer reißender. Es wurde mühsam für ihn. Das Kind schien schwerer und schwerer zu werden. Der starke Mann bekam Angst. Er hatte Angst um das kleine Kind und um sich. Das Wasser stieg ihm bis an die Lippen. Das Kind wurde zentnerschwer. Stunde um Stunde verging. Dann wurde es Tag. Endlich erreichten sie das Ufer. Er setzte das Kind unverletzt ans Ufer. „Kind, ich habe große Angst gehabt!“, sagte der riesengroße und starke Mann, „du wurdest mir so schwer, dass ich glaubte, ich hätte die ganze Welt auf den Schultern.“ Da sprach das Kind: „Du hast nicht nur die Welt getragen, sondern auch den Sohn Gottes. Ich bin der, den du überall gesucht hast: Jesus Christus. An diesem Fluss dienst du mir, du trägst die Schwachen sicher über den Fluss. Darum sollst du ab jetzt ‚Christophorus‘ heißen, das bedeutet: der Christusträger. Geh heim und stecke deinen Stab in die Erde neben deiner Hütte. Morgen wirst du sehen, wie er Blüten und Früchte trägt.“
Soweit die Legende vom heiligen Christophorus.
Ich vermute, manche von ihnen kennen sie. Martin Luther hat in einer Predigt über diese Legende einmal folgendes gesagt: "Du sollst wissen, dass Christoph nicht eine Person ist, sondern ein Ebenbild aller Christen. Die Geschichte will nicht eine Historie sein, sondern will das christliche Leben vor Augen malen." – Ich finde, besser kann man die Botschaft nicht zusammenfassen.
Liebe Leserinnen und Leser, ich wünsche uns allen die Gewissheit - und den Trost -, dass wir mit unseren alltäglichen Aufgaben in der Berufung Jesu stehen. Dass wir in den Aufgaben, die uns aufgetragen sind, Christus dienen. Ganz gleich, an welcher Stelle, ganz gleich mit welcher Aufgabe: sei es als Pastorin oder als Pfleger, sei es als Mitarbeiterin im Kindergarten, sei es als Lehrerin, als Handwerker oder sonst irgendwo, sei es hauptamtlich oder ehrenamtlich: Gott hat uns berufen, Christusträger zu sein -, nicht mehr, und nicht weniger. Und wenn wir diesen Auftrag annehmen und nach bestem Wissen und Gewissen einfach ausführen, dann dürfen wir darauf vertrauen, dass auch unsere Namen im Himmel geschrieben sind. Amen.
PS: Ich wünsche meinem lieben Kollegen von Herzen alles erdenklich Gute und Gottes Segen für den Dienst in seiner neuen Gemeinde – und immer wieder auch mal die eine oder andere Rückmeldung für sein Tun!