Gedanken zum Herbst

Nachricht Ockenhausen, 12. Oktober 2022

Gedanken zum Herbst

Der Herbst ist eine wunderschöne, eine farbenprächtige Jahreszeit. Das satte, reife Grün des Sommers geht zwar dahin, doch der Abschied wird vergoldet durch die herbstliche Laubfärbung mit ihren warmen Farben, durch die Milde des Lichtes an Spätsommerabenden. Eine fast trotzige Selbstbehauptung, bevor die dunkleren Tage Raum gewinnen.

Der Herbst ist für mich in geistlichem Sinn aber auch eine Zeit der Einkehr, des Innehaltens. Zeit, dankbar zu sein für die unermessliche Fülle und die Vielfalt der Schöpfung, die sich jetzt auf verschwenderische Weise noch einmal darbietet, bevor die dunkleren Tage kommen. Und gleichzeitig ist er mit seinen „dunklen“ Feiertagen am Ende des Kirchenjahres eine Zeit, um über das eigene Leuchten, die eigene Vergänglichkeit, über Wechsel und Veränderung nachzudenken und Bilanz zu ziehen; und das ist durchaus nicht immer angenehm.

Diesen Gedanken greift der Dichter Rainer Maria Rilke sehr schön in seinem Herbstgedicht auf:

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.                            (Rainer Maria Rilke)


Ich mag dieses Herbstgedicht von und lese es jetzt immer wieder gern, wenn ich die Blätter draußen fallen sehe.

Es gefällt mir, weil es das Fallen der Blätter sinnbildlich auf alles Leben hin deutet und am Ende tröstlich mit Gott in Beziehung setzt. Alles Leben ist im Fallen begriffen: Es verliert an Kraft, sinkt langsam dahin, stirbt. Das Leben wehrt sich gegen diesen unaufhaltsamen Prozess; es fällt schwer, ihn zu akzeptieren. Die Blätter „fallen mit verneinender Gebärde“, beschreibt es Rilke in seinem Gedicht. Sie sträuben sich gegen die Bewegung des Falls, kreisen langsam und schwankend zu Boden, ohne die Abwärtsbewegung aufhalten zu können. Das Schwergewicht des Falls ist schließlich stärker als alle sich dagegen aufbäumenden Kräfte des Lebens.

Rilkes Gedicht ist kein ausdrücklich christliches Gedicht. Und doch trägt es, vor allem in der letzten Strophe, deutliche Züge, die dem christlichen Hoffnungsgedanken von Tod und Auferstehung nahestehen. Und obwohl Rilke das Wort Gott vermeidet und stattdessen von dem „Einen“ spricht, hat es eine tröstliche Botschaft, die sich vom christlichen Glauben her füllen lässt: Die Bewegung des Falls, das Dahinsinken und Sterben, verliert sich nicht in eine unausdenkliche Tiefe des Nichts. Es ist gehalten, unterfangen von den tragenden Händen des Einen, Gottes, des Schöpfers und Erlösers. Sterben und Tod sind durchmessen von Gott selber im gekreuzigten Christus und führen zu ihm. Der Macht des Todes ist damit eine Grenze gesetzt. Das Versinken in Trauer, Verzweiflung und Einsamkeit ist nicht bodenlos.

Liebe Leserinnen und Leser, ich weiß wohl: nicht immer ist das Gehaltenwerden von Gott unmittelbar zu spüren, es geschieht „unendlich sanft“. Und doch sind Gottes Hände ein zuverlässig tragender Grund.  Dies ist die Botschaft des biblischen Evangeliums. Und so lese ich das Gedicht in dieser Perspektive. Im Lichte der biblischen Auferstehungs-botschaft wird es für mich zu einem Zuspruch der Liebe Gottes in den finsteren Momenten des Lebens.

Ich wünsche Ihnen in dieser dunkler werdenden Jahreszeit immer wieder „helle“ Gedanken, Lichtgedanken, die trösten und das Dunkel aufhellen und das Vertrauen in den Einen wachhalten, dass Der Dich nicht tiefer fallen lässt, als nur in Gottes Hand, die er zum Heil uns allen barmherzig ausgespannt… wie der Dichter Arno Pötsch tröstend im Gesangbuch schreibt (EG 533,1).                                                                                                            

Eine gesegnete Herbstzeit wünscht Ihnen,

                                                                                Pastor Stephan Pregitzer

Es grüßt:

Stephan Pregitzer
Neudorfer Straße 76
26670 Ockenhausen
Tel.: 04956 1381
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