Gedanken zum Ewigkeitssonntag
Liebe Leserinnen und Leser, der letzte Sonntag im Kirchenjahr, an dem wir der Menschen gedenken, die im vergangenen Kirchenjahr verstorben und beigesetzt wurden hat mehrere Namen, die unsere Gedanken in verschiedene Richtung weisen. Dieser Sonntag heißt landläufig Totensonntag und führt damit den „Tod“ in seinem Namen.
In den Gottesdienstbüchern unserer Evangelischen Kirche heißt dieser Sonntag Ewigkeitssonntag und er richtet den Blick auf das, was Menschen jenseits der Grenze von Tod und Sterben erahnen, erhoffen oder glauben - Ewigkeit.
Und dieser Tag kann auch bezeichnet werden als Gedenktag der Entschlafenen.
Je nach dem Namen des Sonntags sind diesem Tag auch verschiedene Bibeltexte zugeordnet.
Ich entscheide mich für meinen Impuls für den Gedenktag der Entschlafenen – das klingt barmherziger, milder als Totensonntag. Denn Schlaf – das ist kein endgültiger, sondern ein vorübergehender Zustand.
Schlaf, das heißt: Wir stellen unsere körperlichen und geistigen Aktivitäten weitgehend ein, aber wir sind dennoch voller Leben.
Und - zum Schlaf gehört das Erwachen. Schlaf ist eine Durchgangsstation.
Gedenktag der Entschlafenen - der Name dieses Tages weckt die Hoffnung auf ein Danach, ein Später, ein Erwachen.
Aber niemand möchte sich von falschen Hoffnungen leiten lassen.
Wenn wir über Tod und Sterben, wenn wir über unsere Hoffnung sprechen und wenn wir das im Angesicht von Menschen tun, die in den vergangenen zwölf Monaten einen Menschen zu Grab getragen haben, dann müssen wir das mit einer radikalen Ehrlichkeit gegenüber uns selbst und gegenüber dem anderen tun; das sind wir einander schuldig.
Der Bibeltext, auf dem ich mich in diesem Zusammenhang beziehe, der 90. Psalm, kommt aus einer sehr fernen Zeit, die gut zweitausendfünfhundert Jahre zurückliegt. Trotzdem er ist vielleicht ehrlicher, nüchterner und moderner als vieles, was in viel jüngerer Zeit gesagt und geschrieben wurde. Dieser Text kommt aus einer Zeit, die von einer Auferstehungshoffnung nichts wusste, geschweige denn von Wiedergeburt oder einem Kreislauf des Lebens. Trotzdem beginnt der Beter dieses Psalms mit einer Vertrauensaussage:
1 Herr, du bist unsre Zuflucht für und für.
2 Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit.
3 Der du die Menschen lässest sterben und sprichst: Kommt wieder, Menschenkinder! 4 Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache.
5 Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom, sie sind wie ein Schlaf, wie ein Gras, das am Morgen noch sprosst,
6 das am Morgen blüht und sprosst und des Abends welkt und verdorrt.
Der Beter oder die Beterin, die diese Worte erstmals gebraucht hat, sieht sich nicht irgendeiner konkreten Bedrohung gegenüber, sondern der Begrenztheit unseres menschlichen Lebens an sich. Doch trotz der Ohnmacht gegenüber der menschlichen Endlichkeit, hat er einen Zufluchtsort.
Das Leben dieses Mannes oder dieser Frau mag um eine vielfaches einfacher, elementarer, aber auch bedrohter gewesen sein als unser Leben heute.
Aber er hat für sich eine Schutzmacht, einen Unterschlupf, einen absoluten Ort des Vertrauens und der Sicherheit: Herr, du bist unsre Zuflucht für und für.
Wir haben heute so vieles an Gütern und Gedanken – aber finden wir dadurch zu einer solche Gewissheit?
An die Souveränität, Weisheit und Würde Gottes reichen alle Symbole der Sicherheit, des Unvergänglichen nicht heran: Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. – Der Glaube früherer Zeiten wird heute manchmal als kindlich abgetan. Doch welche Kraft steckt darin, wenn ein Mensch sagen kann: Herr, du bist unsre Zuflucht für und für?
Der Ewige, an den sich unser Beter wendet, ist ein dem Menschen zugewandter Gott. Er ruft den Menschen am Ende des Lebens zu sich zurück: Komm wieder, Menschenkind! - Was für ein Angebot: An der Grenze meines Lebens da ruft mich nicht der Tod, sondern Gott, der Herr des Lebens.
An der Grenze des Lebens ruft mich kein unpersönliches Schicksal, sondern einer, der mich bei meinem Namen kennt!
Der Beter des Psalms ist sich der Vergänglichkeit seines Lebens durchaus bewusst. Unsagbar kurz ist sein Leben Gottes Ewigkeit gegenüber: Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn´s hoch kommt, so sind´s achtzig Jahre, und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe; denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon. Vergänglich wie eine Blume, ein Grashalm. Selbst wenn es siebzig oder achtzig Jahre währt – für damals ein unvorstellbar hohes Alter.
Er kommt für sich zu dem Schluss, diese Vergänglichkeit anzunehmen: Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden... ruft er Gott an und bittet gleichzeitig um Gottes Zuwendung in diesem Schicksal:
HERR, kehre dich doch endlich wieder zu uns und sei deinen Knechten gnädig! Fülle uns frühe mit deiner Gnade, so wollen wir rühmen und fröhlich sein unser Leben lang. - Gott, wende Dich uns doch endlich wieder zu – mit Deiner Gnade, nicht mit Deinem Zorn oder dem, was wir dafür halten.
Wende Du Dich allen Kranken zu, die mit Dir hadern, Dich nicht verstehen. Wende Dich dem zu, dem der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Wende Dich den vielen Menschen zu, die dieses Jahr einen lieben Menschen verloren haben. Wende Dich ihnen zu – mit Deiner Freundlichkeit. Nicht mit Deinem Schweigen. Mit Deiner Hoffnung, nicht mit Hoffnungslosigkeit. Wie gut, wenn ein Mensch das sagen kann: Du bist unsere Zuflucht für uns für...
Liebe Leserinnen und Leser, Zufluchtsorte, Hoffnungsorte sind heute sehr verschieden geworden. Umfragen besagen, dass nur noch die Hälfte der über 60-Jährigen und ein Drittel der unter 30-Jährigen dran glauben, dass nach dem Tod noch etwas kommt. Die Mehrheit der Menschen ist der Ansicht, dass mit dem Leben hier alles geschehen ist, was wir zu erwarten haben.
Doch was besagt eine Statistik schon, wenn es um meine ganz persönliche Situation geht? Die Hoffnung, dass mein Leben und das Leben der Menschen, deren Leben wir betrauern oder bedenken, nicht im Nichts endet, diese Hoffnung ist nicht mit einem Mal da oder weg. Sie kann wachsen, indem ich mir die Hoffnung anderer anschaue, prüfe, zu eigen mache.
Viele Menschen habendabei über Generationen für sich festgestellt, dass die Bilder, die uns in diesem Psalmengebet begegnen, bei weitem noch nicht überholt sind, sondern tragfähig – dahingehend, dass dieser Tag kein „Totensonntag“ bleiben muß. Tragfähig dahin gehend, dass aus dem Gedenktag der Entschlafenen, ein Ewigkeitssonntag für uns werden kann, der unserer Hoffnung einen Zufluchtsort nennt: Ewigkeit – bei Gott. Amen
Gebet
Du Gott des Lebens, du weißt, mit welchen Gedanken und Gefühlen wir heute zu Dir gekommen sind. Du weißt um die innere Leere, die uns plagt, und um die dunklen Gedanken, die uns bedrücken.
Wir haben einen Menschen verloren, der zu uns gehörte und der nun eine Lücke hinterlässt in unserem Leben.
Wir bitten dich - für die Menschen, die wir loslassen mussten. Halte du sie fest in deiner Hand, dass sie durch den Tod hindurch das Leben finden, das ewige. Und bleibe Du auch bei uns, wenn wir heute ihrer gedenken. Gib uns Mut und Kraft zum Trauern und zum Weinen und tröste uns mit deinem Wort des Lebens.
Dies bitten wir im Namen deines Sohnes Jesus Christus, der mir dir und dem Heiligen Geist lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.