Predigt to go

Nachricht Ockenhausen, 14. November 2020

Geschlossene Türen – eine Predigt zum vorletzten Sonntag im Kirchenjahr

(Matthäus 25, 1-13 – Evangelium zum Volkstrauertag)

Dann wird das Himmelreich gleichen zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und gingen hinaus, dem Bräutigam entgegen. 2 Aber fünf von ihnen waren töricht und fünf waren klug. 3 Die törichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen kein Öl mit. 4 Die klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen, samt ihren Lampen. 5 Als nun der Bräutigam lange ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein. 6 Um Mitternacht aber erhob sich lautes Rufen: Siehe, der Bräutigam kommt! Geht hinaus, ihm entgegen! 7 Da standen diese Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen fertig. 8 Die törichten aber sprachen zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unsre Lampen verlöschen. 9 Da antworteten die klugen und sprachen: Nein, sonst würde es für uns und euch nicht genug sein; geht aber zu den Händlern und kauft für euch selbst. 10 Und als sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür wurde verschlossen. 11 Später kamen auch die andern Jungfrauen und sprachen: Herr, Herr, tu uns auf! 12 Er antwortete aber und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. 13 Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.

Liebe Leserinnen und Leser, eine geschlossene Tür ist in der eigenen Wohnung oder im Büroalltag ein deutliches Signal: bitte nicht stören, ich will allein sein, bitte respektiere meinen Bereich. Einfach so reinstürmen ist nicht.

Kommt eine Liebe oder eine Freundschaft an ihr Ende, dann werden nicht selten - im wahrsten Sinne des Wortes - Türen zugemacht, mitunter zugeknallt. Schluss.  

Eine alte Freundschaft, noch aus Schulzeiten, hat sich im Laufe der Jahre so langsam ausgeschlichen, ohne wirkliches beendet zu werden. Da wurde die Tür nach und nach leise geschlossen... Manchmal gehen im Leben Türen zu.

Nicht jede/r kann das gut haben, wenn Türen zugehen. Manch eine/r sucht nach Mittel und Wegen, die Tür noch einen Spaltbreit offen zu lassen - vielleicht aus Angst vor der Endgültigkeit?!

Gerade jetzt, im November, wenn die Natur sich zurückzieht, die Blätter fallen, die Tage kurz und grau sind, grade jetzt ist die Endgültigkeit mit Händen zu greifen. Der Sommer ist vorbei, ein Jahr geht zu Ende, Türen schließen sich. 

Es ist wieder soweit – die „dunklen Gedenktage“ stehen an: Volkstrauertag, Ewigkeitssonntag - alles Gedenktage für die Verstorbenen: in einem größeren gesellschaftlichen Zusammenhang erinnern wir am Volkstrauertag an die Kriegstoten und an die Opfer von Gewalt in allen Nationen. Und natürlich geht der Tag vielen auch ganz persönlich nah, wenn in diesem Jahr ein wichtiger Mensch gestorben ist oder sich ein Todestag jährt und jemand schmerzlich vermisst wird.

Der Tod schließt die Tür endgültig. Der Tod ist eindeutig. Wenn er die Türe schließt und Dinge blieben ungesagt, dann bleiben sie ungesagt.

Das tut weh und man kann sich selbst lange quälen mit Gedanken wie "Hätte ich nur das noch gesagt..." oder "hätte ich noch dieses liebvolle Wort bekommen..." Aber dann ist es zu spät.

Ich persönlich habe oft das Gefühl, dass auch nachdem jemand gestorben ist, die Tür tatsächlich noch einen Spaltbreit offenbleibt. So lange ich noch an den geliebten Menschen denke, ist er nicht ganz weg. Z.B. wenn ich an meine Großeltern denke: Sie sind bereits viele Jahre tot, aber ich denke oft und gerne an sie. Schön, dass diese Menschen in meinem Leben waren und irgendwie auch noch sind.

Ende November. Türen schließen sich und andere bleiben einen Spaltbreit offen. Die letzten Blätter segeln von den Bäumen - rot und gelb fliegen sie vor meinem Fenster vorbei und einmal mehr erfahre ich: am meisten vermisse ich jemanden, wenn die Herbstblätter fallen…

Unser Predigttext, das Evangelium für den vorletzten Sonntag im Kirchenjahr, erzählt von zehn jungen Frauen, die ihre Fackeln nahmen und hinaus gingen, um dem Bräutigam zu begegnen. Fünf von ihnen waren naiv und fünf schlau. Die naiven nahmen ihre Fackeln, aber kein Öl mit sich.                                                                   

Die schlauen jedoch nahmen Öl in den Gefäßen mit ihren Fackeln mit. Als der Bräutigam auf sich warten ließ, wurden sie alle müde und schliefen ein. Mitten in der Nacht ertönte plötzlich Geschrei: "Da ist der Bräutigam. Geht hinaus, um ihm zu begegnen."

Da wachten diese jungen Frauen alle auf und machten ihre Fackeln zurecht. Die naiven sagten zu den schlauen: "Gebt uns von eurem Öl, denn unsere Fackeln verlöschen." Die schlauen antworteten: "Dann wird es bestimmt nicht für uns und euch reichen. Geht lieber zu den Händlern und kauft welches für euch." Und während sie weggingen, um einzukaufen, kam der Bräutigam, und die fertig vorbereiteten gingen mit ihm zur Hochzeitsfeier, und die Tür wurde geschlossen.                                       

Später, als dann schließlich auch die übrigen jungen Frauen kamen und baten: "Herr, Herr, öffne uns", entgegnete der Bräutigam: "Das sage ich euch: Ich kenne euch nicht." Es gibt ein zu spät. Darum ermahnt Jesus auch seine Freunde: "Seid wach, denn ihr kennt weder Tag noch Stunde!" Matthäus 25,1-13

Rumms, die Tür ist zu! Der Bräutigam hier macht keine halben Sachen. Da bleibt kein Spalt offen. Falls man doch nochmal rein möchte oder reden oder erklären, wie das alles so kam.... Nee! Ich kenne euch nicht. Dieser Bräutigam ist der härteste Türsteher der Welt!

Auch wenn es von der Wortwahl ein wenig „altbacken“ anmutet, die Geschichte, die hier erzählt wird, kommt direkt aus dem Leben: Es findet ein großes Hochzeitsfest statt. Die Gäste haben sich schick gemacht, es gibt richtig lecker zu essen, Braut und Bräutigam sitzen nebeneinander am Tisch.

Bei mir tauchen Bilder auf, wie ich sie von Fotos von der Hochzeit meiner Eltern und Schwiegereltern kenne, Anfang der 60er Jahre - alles sehr traditionell, so wie es sich gehört hat. Heute gibt es ja auch wieder so einen Trend zum Althergebrachten: da soll der Brautvater die Tochter in die Kirche führen; es gibt Tischreden; die Braut wird entführt und der Bräutigam muss sie auslösen. Und es gibt neue Bräuche wie die Junggesellinnenabschiede, wo Freundinnen in rosa Bunny-Kostümen durch die Straßen ziehen und die Braut alberne Aufgaben erledigen muss. Geschmackssache …

So, oder so: schwierig wird es, finde ich, wenn diese Bräuche und Traditionen zum Zwang werden, dem man glaubt, sich unterwerfen zu müssen: „das macht man so…“.

Die jungen Frauen aus der Erzählung sind alle im heiratsfähigen Alter und hier auf diesem Hochzeitsfest sollen sie sich präsentieren: als schlau, fleißig, umsichtig, professionell und effizient. Tüchtig eben. Denn wer will schon eine naive Frau, die schusslig ist, schlecht vorbereitet ist und die Hälfte vergisst.

Und so treten die Zehn in gewisser Weise gegeneinander an. Es geht nicht darum, wer die Schönste ist, so wie bei Heidi Klums Topmodel - sie können aber trotzdem nicht einfach so sein, wie sie sind. Sie müssen sich beweisen. Die Fünf, denen das Öl für die Fackeln fehlt, sind in diesem Wettbewerb gescheitert, weil sie den gesellschaftlichen Anforderungen nicht gerecht wurden. Die fünf anderen Frauen, die daran gedacht haben, Öl mitzunehmen, die sind nicht bereit zu teilen. Im Gegenteil: sie schicken die andern weg, den ganzen Weg zu irgendwelchen Händlern, die sie mitten in der Nacht rausklingeln sollen. Die haben die Challenge gewonnen – aber ziemlich rücksichtslos. Denn: Solidarität sieht anders aus! Aber solidarisch sind die Frauen, die bei der RTL-Shows mitmachen, auch nicht, im Gegenteil. Die Atmosphäre in solchen Shows ist geprägt von Zwängen und Bewertung und – leider auch - Abwertung.

Die Erzählung von dem Hochzeitsfest endet beunruhigend: "...die Tür wurde geschlossen." Für die jungen Frauen heißt das: deine Zukunft ist verschlossen.                     

Dieser Schluss zeigt das hässliche Gesicht, die harte Realität einer Gesellschaft, wo jeder und jede nur an sich selber denkt. Hier werden – wie oft genug auch im Leben - zwei Menschentypen gegeneinander ausgespielt: die einen erfolgreich und unsolidarisch, die andern unvorbereitet und verzweifelt. Es gibt nur Gegensätze. Wenn du nicht das eine bist, bist du das andere. Schwarz-Weiß. Schattierungen unerwünscht. Daraus erwächst Konkurrenz - und die ist gewollt.

Auch in dem Gleichnis ist die Konkurrenz zwischen den Frauen ein Problem, das die Gesellschaft, in der sie leben hervorgebracht hat.

Hier wird von einer Wirklichkeit erzählt, die mich ärgerlich macht. Weil es sie gibt. Weil sie genau so passiert. Dieses Gleichnis erzählt von der Welt, in der wir leben: Tür zu. Geschlossene Gesellschaft. Das macht mich traurig – und ärgerlich.Es muss doch auch noch andere Möglichkeiten geben…

Liebe Leserinnen und Leser, Gleichnisse erwarten eine Antwort. Sie werden nicht im behaglichen Lehnsessel am knisternden Kamin erzählt, damit man sich am Schluss gemütlich räkeln kann – Gleichnisse wollen wachrütteln!

Die Erzählung von den schlauen und den naiven Frauen ist ein Spiegel gesellschaftlicher Wirklichkeit. Aber sie ist noch mehr – sonst wäre es ja zu langweilig. Und sonst würde sie ja auch nicht in der Bibel stehen. Denn da geht es ja immer auch um das Reich Gottes und was es mit mir und meinem Leben, und der Welt hier und heute zu tun haben will. Da wird die Welt Gottes mit irdischer Wirklichkeit verglichen: hier unsere alltägliche Wirklichkeit, dort Gottes Welt. Und was uns bitterlich fehlt, wonach wir uns sehnen, worauf wir warten, das scheint durch dieses Gleichnis durch.

"Dann" heißt: in der Endzeit. Und die Endzeit ist nicht irgendwann; die Endzeit ist jetzt.

Das Gleichnis ist im Matthäusevangelium eingebettet in eine Reihe von Reden Jesu über das Ende der Welt. Diese Reden wollen nicht Furcht und Schrecken verbreiten, sondern wachmachen.

Wir, die wir das hören und ernstnehmen, sollen gestärkt werden und hoffnungsfroh bleiben, dass Rücksichtslosigkeit und Unrecht einmal ein Ende haben werden und es endlich gerecht zugeht auf dieser Erde. Die Gegenwart ist die Zeit, die uns alle – ob schlau, naiv, Mann, Frau, jung, alt, reich, arm – zur Umkehr einlädt. Jetzt.

Liebe Leserinnen und Leser, Zeit zur Umkehr - spielt das alles überhaupt eine Rolle in meinem Leben? Und wenn ja, bin ich wirklich zur Umkehr bereit?

Die geschlossene Tür aus dem Gleichnis will sagen, dass es Konsequenzen gibt, ein zu-spät. Und anscheinend braucht es also dieses Novembergrau, die frühe Dunkelheit, Volkstrauertag, Ewigkeitssonntag, all die Gedanken an die, deren Leben zu Ende ging; anscheinend braucht es auch solche glasklaren Erzählungen aus dem wirklichen Leben mit seinen geschlossenen Türen; anscheinend braucht es all das, damit ich wach werde und neu lerne, über Veränderungen nachzudenken, auf Veränderungen zu hoffen.

Aber wann wird es so weit sein?! Wenn ich dermaleinst an die Himmelstür klopfe?! Also ich hoffe ja, dass es bis dahin noch ein bisschen dauert und dass Gott dann nicht so kleinkariert ist wie der Bräutigam aus unserem Gleichnis ...

Aber darauf müssen wir gar nicht erst warten. Auch Jesus klopft immer wieder an unsere Lebenstür, und er macht uns Mut, sich ihm zu öffnen. Und er verspricht: Wenn du mein Klopfen hörst, da drinnen bei dir, dann lass mich rein. Dann will ich mit dir aushalten, was auszuhalten ist.

Amen.